In der Pädagogik geht es insbesondere um die Erziehung und die Formung Heranwachsender in Hinblick auf Verhalten und Bildung. Beides ist wesentliche Aufgabe von Schule als Ergänzung und Erweiterung im Zusammenwirken mit dem Elternhaus. Formung darf jedoch nicht Gleichförmigkeit zum Ziel haben. Unsere Pädagogik ist darauf ausgerichtet, Individualität und Gemeinschaftssinn in Einklang zu bringen. Das damit einhergehende Menschenbild fußt einerseits auf dem christlich-abendländischen Wertekanon, andererseits auf den antiken und doch erstaunlich zeitlosen lebensphilosophischen Grundsätzen von Marc Aurel (121-180), dessen vorrangige Daseinsauffassung in der Einheit von Denken und Handeln, von Wort und Tat und in dem Bewusstsein für Wahrheit und Wirklichkeit bestand, was er in seinem bekannten Werk „Selbstbetrachtungen“ darlegte.

Das Gymnasium Aurelianum hat zum Ziel, der ursprünglichen Hauptaufgabe eines Gymnasiums in vollem Umfang gerecht zu werden, nämlich die Förderung der Fähigsten. Es gehört nicht zu den Aufgaben eines Gymnasiums, die Bedingungen und Anforderungen immer weiter an den leistungsschwächeren Schülern auszurichten, um dem Irrglauben Vorschub zu leisten, mit nur genügend Anpassung könne oder müsse ein jeder das Abitur erreichen. Ein Abitur nicht zu erreichen, darf nicht als Zeichen von persönlicher oder menschlicher Minderwertigkeit gedeutet werden, sondern bedarf anderer sinnvoller, hochwertiger Bildungsmaßnahmen und -förderung. Bei grundsätzlicher gymnasialer Eignung gibt es im Aurelianum selbstverständlich individuell abgestimmte Angebote im Falle eines Förderbedarfs oder beim Begegnen von Defiziten.

Wir fordern Leistung von unseren Schülern ein. Dabei legen wir den Schwerpunkt, neben der Förderung kommunikativer und kooperativer Fähigkeiten und Eigenverantwortlichkeit, auf die eigentliche Wissensvermittlung, auch indem bei den Schülern Eigenantrieb, Wissensdurst und Interesse an den Inhalten befördert werden. Wir vermitteln außerdem klassische Werte wie Zuverlässigkeit, Bescheidenheit, Höflichkeit, Pflichtbewusstsein, Verantwortungsbewusstsein, Fleiß, Disziplin, Ordnung, Heimatbewusstsein und Gemeinschaftssinn.

Pädagogik ist die Führung, die Anleitung von Kindern; wir treten an, sie anzuleiten zu mündigen, kritisch denkenden, seelisch ausgeglichenen, dem Gemeinwohl zugetanen, von vernünftigem Verstand getragenen, gymnasial gebildeten Menschen zu werden.

Unsere Grundsätze zu Individualität und Gemeinschaft

Im Zentrum allen Denkens und Handelns steht der Mensch mit seinen schöpferischen Fähigkeiten, seinen Eigenarten und seiner Unvollkommenheit. Der Mensch ist nicht isoliert, sondern in vielfältiger Weise eingebunden in sozialen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und natürlichen Systemen. Aus den komplexen Wechselbeziehungen zwischen dem einzelnen Menschen mit seinen Anlagen und Begabungen und den ihn prägenden Systemen erwachsen Individuen. Dies gilt es zu berücksichtigen, fordert individuelle Förderung und verbietet jegliche Art von Gleichmacherei. Es gilt daher der Grundsatz:

Alle Menschen sind gleichwertig, aber nicht alle Menschen sind gleichfähig.

Dieser Grundsatz ist aus unserer Sicht mit Bestrebungen in Richtung Einheitsschule für alle Menschen nicht vereinbar. Einheitsschulen können den unterschiedlichen Fähigkeiten junger Menschen nicht im nötigen Maße und in geeigneter Weise begegnen. Eine Gliederung des Schulwesens halten wir daher für unabdingbar. Dem Gymnasium kommt dabei schwerpunktmäßig die Rolle der Förderung der Fähigsten zu.

Menschen sind soziale Individuen und zeichnen sich durch Verschiedenartigkeit aus. Dies verleiht ihnen zugleich eine persönliche Identität. Doch auch als Individuum ist der Mensch nicht isoliert, sondern bedarf der identitätsstiftenden Gemeinschaft, mit der er sich verbunden fühlt, die ihm Halt, Geborgenheit und Unterstützung bietet und der er seine Schaffenskraft nach seinen individuellen Möglichkeiten zukommen lassen kann. Daraus leitet sich ein weiterer Grundsatz ab:

 Der soziale Mensch braucht Gemeinschaft und leistet seinen individuellen, wertvollen Beitrag.

Der Mensch identifiziert sich mit der Gemeinschaft, die seiner persönlichen Identität ähnlich ist. In solchen Identitätsgemeinschaften liegt der Keim einer gesunden, menschenwürdigen und individuellen Entwicklung und das persönliche Fundament für Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und Leistungsfähigkeit. Eine Gemeinschaft kann folglich nur gesund und leistungsfähig sein, wenn sich ihre Individuen mit ihr in hohem Maße identifizieren. Da Identifikation auf Ähnlichkeit beruht, wird die Identifikationsfähigkeit des einzelnen Menschen einerseits durch den Grad der Heterogenität und andererseits durch die Größe einer Gemeinschaft bestimmt.

So bietet die eigene Familie in der Regel das größte Identifikationspotential. Aber auch die Klassen- und darüber hinaus die Schulgemeinschaft spielt in der Entwicklung Heranwachsender eine wichtige identitätsstiftende Rolle.

Nur, wer sich seiner persönlichen Identität und seiner Identitätsgemeinschaft bewusst ist, kann selbstbewusst, mit gefestigtem Charakter und nach seinen Möglichkeiten leistungsstark handeln.

Marc Aurels lebensphilosophische Grundsätze als pädagogische Leitlinien

Marc Aurel stand in einer Zeit der anbrechenden Dekadenz Roms für ein philosophisches Plädoyer im Sinne der Vernunft und der sozialen Verantwortung. Den aktuellen Zeitgeist von Massenkonsum und Genussverehrung würde Marc Aurel wohl sicher ablehnen und als absolut unangebracht und unvernünftig erachten.

„Tue nichts mit Widerwillen, nichts ohne Rücksicht aufs Gemeinwohl, nichts ohne Prüfung, nichts im Gezerre der Leidenschaft.“

„Fürs erste: Handle nicht ohne Ursache, nicht ohne Zweck! Zum andern: Richte deine Endabsicht auf nichts anderes als auf das Ziel des gemeinen Nutzens!“

So sollen Heranwachsende sich denn auch stets darin üben, mit Verstand und Überlegtheit zu handeln und den Blick zu schärfen, welche Folgen das eigene Tun für sie selbst und für das Gemeinwohl hat.

„Keine deiner Handlungen geschehe ohne Überlegung, keine werde anders als nach den vollendetsten Grundsätzen der Kunst zu leben vollzogen!“

Selbstständigkeit und damit einhergehend geistige Unabhängigkeit und Verantwortungs-bewusstsein zu fördern sind ebenso Teil unserer pädagogischen Zielsetzung.

„Eines aber lass dir gesagt sein: Sei heiter und nicht bedürftig der Dienste, die von außen kommen, auch nicht bedürftig des Friedens, welchen andere gewähren. Aufrecht also musst du stehen, ohne aufrecht gehalten zu werden.“

Diese geistige Unabhängigkeit bildet die Grundlage für eine analytische und kritische Auseinandersetzung mit einer sich ständig verändernden Welt und den Geschehnissen. Wir schulen global vernetztes Denken, das Erkennen von größeren Zusammenhängen und den wissenschaftlichen Verstand.

„Richte dein Nachdenken auf das, was gesprochen wird; versenke deinen Geist in die Betrachtung der Begebenheiten und ihrer Ursachen!“

„Von jedem Gegenstand, welcher in den Kreis deiner Vorstellungen fällt, bilde dir einen genauen, bestimmten Begriff, […] denn nichts ist für die Weckung eines hohen Sinnes so förderlich als die Geschicklichkeit, jeden Gegenstand, der uns im Leben aufstößt, nach einer richtigen Methode zu untersuchen und ihn stehts von der Seite ins Auge zu fassen, wo es uns zugleich einfällt, in welchem Zusammenhang er stehe, welchen Nutzen er gewähre, welchen Wert er für das Ganze, welchen für den einzelnen Menschen habe.“

„Schau jedem Ding auf den Grund! Seine eigentümliche Beschaffenheit, so wenig als sein Wert entgehe deinem Blick!“

Junge gymnasial gebildete Menschen sollen zudem erfahren, ob und wie sie in einer entwickelten Gesellschaft in einer leitenden Position Verantwortung übernehmen können. Dazu müssen sie zunächst lernen, Autorität anzuerkennen und sich einzuordnen. Sie müssen wissen, was für ein Mensch sie selbst sind. Sie sollen ihre eigenen Stärken und Schwächen beurteilen können und stets von Vernunft geleitet bescheiden und zum Wohle der Gemeinschaft verantwortungsvoll führen können.

„Ehre die Urteilskraft! Denn ganz von ihr hängt es ab, zu verhüten, dass sich beim Herrscher in dir nimmermehr eine Ansicht festsetze, welche mit der Natur und mit der Einrichtung eines vernünftigen Wesens im Widerspruch steht.“

„Wenn du der gesunden Vernunft folgsam, dasjenige, was dir im Augenblick zu tun obliegt, mit Eifer, Kraft, Wohlwollen betreibst und, ohne auf eine Nebensache zu sehen, den Genius in dir zu erhalten suchst, […] so wirst du ein glückliches Leben führen, und es wird sich niemand finden, der dich daran hindern könnte.“

Zur Urteilskraft gehört auch die Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit und dem konstruktiven Umgang damit.

„Werde nicht verdrießlich; lass deinen Eifer und Mut nicht sinken, wenn es dir nicht vollständig gelingt, alles nach richtigen Grundsätzen auszuführen; fange vielmehr, wenn dir auch etwas misslungen ist, von Neuem an und sei zufrieden, wenn die Mehrzahl deiner Handlungen der Menschennatur gemäß ist, und behalte das lieb, worauf du zurückkommst!“

Fehler einzugestehen und sie als Bestandteil eines Verbesserungsprozesses zu begreifen, selbstkritisch zu sein und offen für berechtigte Kritik anderer ohne Arroganz und Starrsinn, auch diese Fähigkeit zu schulen, ist uns ein pädagogisches Anliegen.

„Kann mir jemand überzeugend dartun, dass ich nicht richtig urteile oder verfahre, so will ich’s mit Freuden anders machen. Suche ich ja nur die Wahrheit, sie, von der niemand je Schaden erlitten hat. Wohl aber erleidet derjenige Schaden, welcher auf seinem Irrtum und auf seiner Unwissenheit beharrt.“

Schließlich geben wir Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit und Aufrichtigkeit als wesentliche Grundeigenschaften mit nicht zu unterschätzender Wichtigkeit für das Berufsleben den Heranwachsenden mit auf den Weg.

„Ist es nicht pflichtgemäß, so tue es nicht; ist es nicht wahr, so sage es nicht; denn die Willensrichtung soll in deiner Gewalt sein.“

Vom Geist dieser menschlichen und menschenwürdigen Grundsätze lassen wir uns leiten, um junge Menschen gymnasial zu bilden. Wir fördern individuelle vernunftbegabte Identitäten und begleiten sie in ihrer weiteren Entwicklung, zugleich vermitteln wir auch den Wert und die Wichtigkeit von Identitätsgemeinschaften.

Reiterbild und Zitate aus:

„Marc Aurel - Selbstbetrachtungen“, aus dem Lateinischen von Carl Cleß, AnacondaVerlag, 2018.